„Aus jeder Krise wächst eine neue Gelegenheit“

Nach dem enttäuschenden Vorrundenaus bei der letzten Europameisterschaft ist es etwas ruhiger im DKFV-Lager geworden. Allerdings wurde im Hintergrund kräftig analysiert und die Gründe für das sportliche Abschneiden wurden ermittelt, so dass der Verband nun mit neuer Energie und Zuversicht in die Kleinfeldfußballzukunft schaut. Mit der Verpflichtung von Teamkoordinator Stephan Reinold (hier geht’s zur Mitteilung) wurde ein erster wichtiger Schritt getan.

Im großen Interview spricht nun der Bundestrainer Marc Müller über die vergangene EM, welche Rolle Stephan Reinold einnimmt und wie das Profil zukünftiger Nationalspieler aussieht.

Marc, knapp ein halbes Jahr ist nun bereits vergangen. Wie sehr wirkt die EMF EURO in Tschechien noch nach?

„In der Tat hat uns das frühe Ausscheiden tief getroffen und eine gewisse Leere verursacht. Auf so etwas waren wir nicht vorbereitet, das hat wirklich lange nachgewirkt. Mittlerweile ist das aber erledigt, es bringt ja auch nichts jetzt den Kopf in den Sand zu stecken. Wir müssen einfach die richtigen Lehren und Konsequenzen ziehen.“

Wie sehen diese aus?

„Wir haben alles hinterfragt, angefangen natürlich bei uns im Trainer-und Funktionsteam. Aber auch die Leistungen jedes einzelnen Spielers wurden sehr kritisch analysiert. Unter dem Strich haben wir Fehler in allen Bereichen gemacht, die gilt es abzustellen und daraus zu lernen.“

Welche Fehler waren das?

Fassungslosigkeit beim Trainerteam Marc Müller (vorne) und Sebastian Maak während des Spiels gegen die Ukraine.

 

 

„Es hat uns immer ausgezeichnet, ein großes Selbstvertrauen und das Vertrauen in die eigene Stärke zu besitzen. Mit dieser Haltung haben wir in der Vergangenheit viele Spiele gedreht und Tore kurz vor Schluss erzielt. Allerdings brauchst du als Sportler auch immer den letzten Funken Anspannung und Konzentration, du musst dir immer bewusst sein, dass wenn du nicht alles abrufst, du immer scheitern kannst. Dieses Bewusstsein hatten wir nicht, ein Ausscheiden nach der Vorrunde war in keinem Plan vorgesehen. Selbst nach der Auftaktniederlage gegen Bulgarien hatte man im Umfeld das Gefühl „das wird schon, wir schlagen jetzt die Ukraine und dann ist alles gut“. So einfach funktioniert das aber nicht. Diesen Schuh müssen wir uns im Trainerteam auch anziehen, dieses Bewusstsein nicht an die Mannschaft vermittelt bekommen zu haben. Letztlich zeigt es aber auch, dass das Niveau Jahr für Jahr steigt und es gegen keinen Gegner mehr leicht ist.“

Das allein war aber sicher nicht der Grund für die beiden Auftaktniederlagen, oder?

„Nein, natürlich nicht. Das war nur ein Baustein. Erschreckend zu sehen war, dass wir in den ersten beiden Partien absolut überhaupt nichts von dem abgerufen haben, was wir im Vorfeld besprochen und trainiert hatten. Als Außenstehender hätte man den Eindruck gewinnen können, wir wüssten gar nicht was wir da tun. Tatsächlich hatten wir aber einen Plan und die Jungs haben oft genug gezeigt, dass sie es können. Und im Spiel gegen Polen, für die es noch um den Gruppensieg ging, hat die Mannschaft ja bewiesen, dass es doch geht.“

Du sprichst das Spiel gegen Polen an. Da war schon alles aus, trotzdem zeigte die Mannschaft eine gute Leistung gegen einen starken Gegner. Tolle Moral oder war vorher der Druck zu groß?

Gegen Polen raffte sich das Team noch einmal auf und gewann 1:0.

„Von einer „tollen“ Moral würde ich nicht sprechen. Dass sich die Mannschaft da richtig reinhängt war einfach das Mindeste was man erwarten konnte. Die Frage nach dem Druck ist spannend, weil vor allem ja unsere Leistungsträger und Führungsspieler ihr Potenzial nicht abgerufen haben. Spieler mit den meisten Länderspielen auf dem Buckel haben die meisten und entscheidendsten Fehler gemacht, da darf sich die Frage nach dem Druck eigentlich nicht stellen. Aber wir waren mental insgesamt nicht auf der Höhe. Man hat auch gemerkt, dass einige Spieler aus einer schwierigen Vereinssaison kamen oder zum Teil gar nicht mehr auf hohem Wettkampfniveau gespielt haben. Das reicht dann bei einer EM nicht.““

Die Mannschaft wirkte auch nicht frisch. Wie erklärst du dir das?

„Diese Frage hat mir einige schlaflose Nächte bereitet, weil wir im Vorfeld des Turniers viel getan hatten: Trainingseinheiten, Testspiele – da fragt man sich schon, ob das nicht zu viel war. Aber zum Vergleich: Ein Jahr vorher in Ungarn hatten wir exakt das gleiche Vorbereitungsprogramm, sogar noch einen Tuck intensiver. Und dort sind wir marschiert ohne Ende, niemand hat geklagt und alle waren sich einig, dass es ein super Turnier war. Also muss die Gegenfrage erlaubt sein: Wie fit sind die Spieler zum Turnier gekommen? Wir wissen natürlich, dass die EM in diesem Jahr nach der regulären Saison war und einige vielleicht etwas müder waren als sonst. Aber als Nationalspieler habe ich die Pflicht und Verantwortung, mich in eine Verfassung zu bringen, mit der man theoretisch auch den Titel holen kann, sprich: maximal belastbar zu sein. Das können wir als Verband nur bedingt steuern, weil wir nicht täglich mit den Spielern arbeiten.“

Also fehlende Professionalität?

„Ein stückweit, ja. Hier haben wir aber ein grundsätzliches Problem. Unsere Spieler bewegen sich auf Amateurniveau, schließlich betreiben wir ja auch einen Amateursport. Das ist auch ok. Nur: Um bei der EM erfolgreich sein zu können, musst du professionelle Strukturen schaffen und professionell arbeiten. Diese Balance zwischen „Amateur sein, aber wie ein Profi arbeiten“ ist sehr, sehr schwierig zu halten und eine große mentale Herausforderung. Da mache ich auch keinem einen Vorwurf, damit kann einfach nicht jeder umgehen. Aber genau das zu können gehört in der Zukunft zum Profil unserer Nationalspieler.“